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CYBERC(R)ASH

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Die Deutsche Bundesbank hat Angst: Das digitale Geld unterlaeuft ihr Waehrungsmonopol.Die Zentralbaenker befuerchten, dass Chipkarten und Internet-Geld die Finanzmaerkte durcheinanderbringen.

Noch laechelt Clara Schumann, wenn wir mit dem blauen Hundertmarkschein zahlen. Das Laecheln koennte ihr bald vergehen: Digitales Geld erobert den Alltag. Im englischen Swindon oder im Bodenseestaedtchen Ravensburg ist es schon soweit. Dort kann jedermann beim Baecker, Friseur und im Kino anstelle mit Banknoten und Muenzen mit Bits und Bytes zahlen. Pech fuer Clara: Das Bargeld stirbt aus.

Das meiste Geld, naemlich ungefaehr zwei Billionen Mark (Kontoguthaben), brummt ohnehin in digitaler Form durch die Datennetze der Banken. Nur ein Bruchteil, etwa 260 Milliarden Mark, existiert als Bargeld. Es wandert ueber Ladentheken und Tankstellenschalter, in Konsumtempel und Supermaerkte. Taeglich fallen hier 30 Millionen Kaeufe unter 50 Mark an. Nun sollen Muenzen und Noten in elektronischen Speicherchips verschwinden oder als Cyberbucks in den Home-PC abwandern.

Alarm bei den Waehrungshuetern

Jetzt klingeln bei den Waehrungshuetern die Alarmglocken. Sie fuerchten um ihre monetaere Steuerungsmacht. Denn die Geldpolitik, so Peter Bofinger, Wirtschaftsprofessor an der Universitaet Wuerzburg, "haengt am Bargeld". Mit ihrer Mindestreservepolitik und ihren Zinssaetzen, die fuer die Kreditinstitute zur Refinanzierung massgebend sind, steuert die Deutsche Bundesbank das kurzfristige Zinsniveau der gesamten Wirtschaft. Ob Commerzbank, Deutsche Bank oder Sparkasse: Die Kreditinstitute muessen demuetig bei den Frankfurter Waehrungshuetern vorsprechen, um sich mit Banknoten und Muenzen einzudecken. Sollte Cybermoney in jeder Form aber den Bargeldbedarf drastisch reduzieren, so der Geldprofessor, gaebe es "ernste Probleme fuer die Bundesbank".

Die Abhaengigkeit der Kreditwirtschaft von der Zentralbank wuerde sich verringern. Privatunternehmen koennten eigenes Geld schoepfen. Die Notenbank verloere so die Moeglichkeit, in die Geldentwicklung wirksam einzugreifen, um beispielsweise die Inflation im Zaum zu halten. Die Stabilitaet der Waehrung waere bedroht. Sogar das Notenbankmonopol der Waehrungshueter geriete in Gefahr -- naemlich dann, wenn maechtige Privatunternehmen ihr eigenes Kartengeld auf den Markt werfen. Denn Software-Unternehmen oder Kaufhaeuser unterstehen nicht der Bankenaufsicht und sind deshalb auch nicht verpflichtet, Gegenwerte fuer das Kartengeld vorraetig zu halten, das sie in Umlauf bringen.

Wenn Nichtbanken allzu unkontrolliert die digitale Geldpresse bedienen, ist Gefahr in Verzug. Ein Beispiel: Fuer einen Hundertmarkschein erhaelt Kunde Mueller von der Firma Cybermoney einhundert Cyberbucks. Den Hundertmarkschein legt die Firma aber nicht auf die hohe Kante, sondern bringt ihn wieder in Umlauf. Muellers Hunderter haette sich quasi verdoppelt. Solche Geldschoepfung auf Kredit ist jedoch Gift fuer die Volkswirtschaft. Ungebremst waechst die Geldmenge. Inflation und Finanzkrisen sind die Folge. Am Ende wuessten die Zentralbanken nicht einmal mehr, wieviel von "ihrem" Geld ueberhaupt noch im Umlauf ist.

Digitale Waehrung als gesetzliches Zahlungsmittel?

Solche Szenarien seien sehr ernst zu nehmen, meint das Europaeische Waehrungsinstitut (EWI) in Frankfurt/Main. Seine Experten beschaeftigen sich mit der digitalen Geldboerse und spielten schon vor zwei Jahren weitreichende Optionen durch: In einer Studie zu "prepaid cards" erklaeren sie in gewundenem Buerokratenenglisch: "Langfristig kann es nicht ausgeschlossen werden, dass Umstaende eintreten, welche dazu fuehren koennten, dass die EU-Zentralbanken vorausbezahlte Karten selber herausgeben." Im Klartext: Sollte die digitale Geldboerse die Finanzmaerkte durcheinanderbringen, werden die europaeischen Waehrungshueter digitale Werteinheiten zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklaeren.

Angesichts solcher Probleme erscheint es vergleichsweise harmlos, dass das Entstehen von digitalem Geld auch den krisengeschuettelten Theo Waigel schroepfen koennte. Dem wuerde dann jaehrlich eine halbe Milliarde Mark fehlen. Diese Summe kassiert der Finanzminister naemlich 1994 von der Bundesbank fuer neugepraegte Muenzen. Wenn aber die Mark nicht mehr klimpert, fallen solche Einnahmen freilich weg.

Den Steuerbehoerden schwant ebenfalls nichts Gutes: Wie wollen Beamte beleglose Fernueberweisungen von Cash- zu Cashkarte pruefen? Was, wenn jemand via Internet Aktien in Hongkong kauft und mit Cyberguthaben einer Privatwaehrung auf den Cayman-Inseln bezahlt? Die Chancen der Finanzbeamten, hier noch Steuern einzutreiben, tendieren gegen null. John Perry Barlow, einer der Gruender der Electronic Frontier Foundation, glaubt gar, dass E-Geld dazu fuehren koennte, "dass Steuern eine freiwillige Angelegenheit werden".

Experten zeichnen Katastrophen-Szenarien

Notenbankfachleute, wie Hans-Juergen Friedrich und Ulrich Moeker von der Bundesbank, zeichnen in einer Studie ueber die Folgen elektronischer Geldboersen ein bedrohliches Bild: Schlichte Systemfehler koennten ploetzlich eine Krise des Vertrauens in die digitale Waehrung provozieren. Wollen dann Tausende ihr Cybergeld gegen Bargeld wechseln, kaeme es zum Zusammenbruch. Das waere aber erst der Anfang der Katastrophe. Sollte das elektronische Geld ausfallen, muesste wieder Bargeld als Zahlungsmittel einspringen. Doch weil dieses weitgehend aus dem Verkehr gezogen worden ist, koennte es ploetzlich allerorten an Noten und Muenzen mangeln, um die notwendigen Kaeufe zu taetigen. Bevor die Notenpresse neues Geld gedruckt haette, kaeme es "zu schweren Verwerfungen des Zahlungsverkehrs", schlussfolgert die Studie.

Wendelin Hartmann, Deutsche Bundesbank: "Hohes Risiko"

Auf Kongressen diskutieren derzeit Vertreter der Bundesbank erbittert mit Privatanbietern, ob diese im Internet ohne Waehrungshoheit ueberhaupt das Recht haben, Computerwaehrungen in Umlauf zu bringen. Recht hin oder her, sie tun es einfach. Die Folgen koennten weitreichend sein. Nutzen Millionen Teilnehmer eine Internet-Waehrung, stellt diese schon wegen der Faelschungs- und Manipulationsrisiken eine Gefahr dar. Wendelin Hartmann, Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundesbank, warnt deshalb vor den "immensen potentiellen Risiken", die diese neuen Zahlungsmittel in sich bergen. Selbst der Kryptoexperte David Chaum, Erfinder von DigiCash, der derzeit sichersten E-Cash-Loesung, raeumt ein: "Kein System ist hundertprozentig sicher, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es geknackt wird." Wuerde ein Virus das Internet-Cash "auffressen", waeren die Folgen nicht mehr nur national begrenzt. Rund um den Globus wuerden Tausende Firmen und Millionen Privatleute ploetzlich vor dem Ruin stehen.

Zumindest der Oeffentlichkeit gegenueber koennen sich die Zentralbanken gelassen geben. Niemand weiss derzeit, wie schnell sich die neuen Geldformen durchsetzen werden. Sicher ist lediglich, dass sie kommen. Offen bleibt allerdings, in welchem Ausmass sie Bargeld ersetzen. Noch sei E-Money zu unsicher, zu teuer und datenschutzrechtlich bedenklich, lauten dabei die Einwaende. Angesichts der Sicherheitsbedenken glaubt Hartmann nicht an eine schnelle Verbreitung des Internet-Geldes. Aber auch beim Kartengeld bleibt er skeptisch: "Wenn beispielsweise die Gebuehren fuer den Einzelhandel und fuer die Kunden zu hoch sind, wird sich das elektronische Kartengeld nicht so schnell durchsetzen."

Peter Diesler


Dieser Text wurde ins Netz gebracht von: W. Roehrig.
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